Abriss statt Modernisierung: „Ersatzbau“ auf dem Vormarsch

Kiel, den 27.01.2010

Abriss statt Modernisierung: „Ersatzbau“ auf dem Vormarsch

Immer häufiger sehen sich Mieter mit der Forderung konfrontiert, dass sie ihre Wohnung räumen sollen, weil der Vermieter die Absicht hat, die Häuser abzureißen. Selten handelt es sich dabei um Bausubstanz, die so marode ist, dass eine Instandsetzung nicht mehr vertretbar ist. Häufiger werden bauliche Mängel im Verbund mit sozialen Problemen als Grund angegeben,

wie z.B. in Lübeck beim Abriss des Pinassen-Hochhauses. In Trappenkamp war es das örtliche Wohnungsüberangebot und die Tatsache, dass das „Punkt-Hochhaus“ weder ins Ortsbild, noch in die Landschaft passte. Ähnlich die Situation in Kiel, als das Hochhaus Schönberger Straße 44 abgerissen wurde: Jahrelange Vernachlässigung, unüberlegte Belegung und infolge dessen ein hoher Leerstand kosteten 120 Wohnungen auf einen Schlag. Weitere rund 75 Wohnungen will eine Spekulantin in der Kieler Moltkestraße abreißen, die diese Wohnungen extra zu diesem Zweck erworben hat. Noch einmal rund 70 Wohnungen will eine Genossenschaft in der Kieler Gefionstraße dem Erdboden gleichmachen. Für beide Wohnungsbestände sind aber Neubauten geplant, ebenso wie im Sylter Ortsteil Westerland, wo 160 Wohnungen durch Neubauten ersetzt werden sollen. Richtig zur Sache geht es in Flensburg: Im Rahmen der Umgestaltung des Stadtteils Fruerlund sollen gleich 293 Wohnungen abgerissen und durch 198 Neubauwohnungen ersetzt werden.

 

Losgelöst von der Frage, ob alle diese Abrisse – vollzogen und geplant – wirklich sinnvoll und nötig waren, bedeuten sie für die Betroffenen immer und ausnahmslos einen ganz tiefen Einschnitt in ihre ganz persönlichen Lebensumstände. Sie sollen sich gezwungenermaßen eine neue Wohnung suchen, ein neues soziales Umfeld aufbauen, müssen sich um Krippenplätze, Kindergärten und Schulen kümmern, womöglich den Hausarzt wechseln und längere Wege zum Arbeitsplatz in Kauf nehmen. Und ebenso ausnahmslos gehen mit den erheblichen Belastungen eines Umzuges auch noch erhebliche wirtschaftliche Belastungen einher, selbst dann, wenn der Vermieter sich an den Kosten beteiligt. Nach dem Umzug fällt immer eine höhere Miete an und selbst die neuen öffentlich geförderten Wohnungen sind in der Regel teurer als die abgerissenen, aufgegebenen Wohnungen. Entsprechend hoch sind die Widerstände, die die Mietergemeinschaften denen entgegensetzen, die sie aus ihren Wohnungen vertreiben wollen.

Dabei gibt es erhebliche Unterschiede im Vollzug: Während eine Spekulantin in Kiel mit ihren Abrissplänen fast zwei Jahre zurückliegt und eine Lösung des Problems noch gar nicht absehbar ist, wird in Westerland sukzessive abgerissen und stehen sogar schon die ersten Neubauten. Der Unterschied liegt in der Herangehensweise. Die Vermieterin in Westerland hat in mühsamen, aber fairen Einzelgesprächen unter Einbindung der Mieterorganisation Problemfall für Problemfall abgearbeitet und setzt ihre Pläne so ohne größere Verzögerungen um. Anderenorts wurde mit jeder Menge Geld und vielen kleinen Gemeinheiten versucht, die Häuser leer zu bekommen. Bislang ohne Erfolg.

Aus den bisherigen Erfahrungen leiten sich die Forderungen der Mieterorganisation ab: Ein Abriss sollte nur dann ins Auge gefasst werden, wenn eine Liegenschaft schon leer steht und die Bausubstanz eine Modernisierung zweifelsfrei nicht rechtfertigt. Wenn es in Einzelfällen doch nötig sein sollte, Mietverhältnisse zu beenden, darf dies nur im Einvernehmen mit den betroffenen Mietern geschehen und müssen ihnen persönliche und wirtschaftliche Nachteile weitestgehend von der Hand gehalten oder ausgeglichen werden. Weil der sogenannte „Ersatzbau“ zwar neue Wohnungen schafft, aber den Wohnungsbestand nicht erhöht, mahnt die Mieterorganisation gleichzeitig mehr Förderung mit dem Ziel an, den Bestand an preiswerten Wohnungen deutlich zu erhöhen. In diesem Marktsegment herrscht zunehmender Druck ausgelöst durch die steigende Zahl einkommensschwacher und armer Haushalte, sowie durch den Verlust preiswerten Wohnraums durch Abriss und Modernisierung. Die Mieterorganisation fordert die sukzessive Aufstockung des geförderten Wohnungsbestandes auf wenigstens 100 Tausend Wohnungen, deren Mieten spürbar unter der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen müssen. Das von CDU und SPD im vorigen Jahr gerade erst verabschiedete Wohnraumförderungsgesetz kann dies nicht leisten und bewirkt langfristig eher das Gegenteil.

Nähere Auskünfte zu allen hiermit zusammenhängenden Fragen erteilen alle schleswig-holsteinischen Mietervereine. Deren Sprechzeiten und Aufnahmebedingungen können bei der Landesgeschäftsstelle des Mieterbundes Schleswig-Holstein, Eggerstedtstraße 1, 24103 Kiel, Telefon 0431/97919-0 erfragt werden. Sie sind auch im Internet verfügbar unter www.mieterbund-schleswig.holstein.de.

Verantwortlich: Jochen Kiersch – Kiel

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