Anhörung zur Volksinitiative für bezahlbaren Wohnraum

              

 

Anhörung zur Volksinitiative für bezahlbaren Wohnraum

Am 20.08.2019 fand im Landtag im Petitionsausschuss eine Anhörung zum Thema „Volksinitiative für bezahlbaren Wohnraum“ statt (eine vorherige schriftliche Stellungnahme an den Petitionsausschuss – siehe unten – wurde von den Verbänden eingereicht). Der Mieterbund Landesverband Schleswig-Holstein war durch Jochen Kiersch und der Sozialverband durch Christian Schulz vertreten. Ziel der Initiative ist es, das Recht auf angemessenen Wohnraum in die Landesverfassung von Schleswig-Holstein aufzunehmen. Dass dies ein Thema ist, welches die Bürger von Schleswig-Holstein beschäftigt, belegen die 32.500 Unterschriften, die gesammelt wurden. Zudem zeigt die momentane brisante wohnungspolitische Situation, dass mehr Schutz für Mieter unabdingbar ist. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt bestehen von ehemals 220.000 Sozialwohnungen nur noch 47.000. Auch der von Wohnungswirtschaft verbreitete und durch die Landesregierung übernommene Slogan, dass die Lösung nur „bauen, bauen, bauen“ sein könne, ist zwar nicht falsch, ersetzt aber nicht das Anliegen der Volksinitiative, da sich diese verstärkte Bautätigkeit frühestens in ein paar Jahren auf den angespannten Wohnungsmarkt auswirken wird.

Bezahlbares Wohnen ist ein entscheidender Teil der Daseinsvorsorge und bedarf unbedingt der Verankerung in der Landesverfassung. Unterstützt wird diese Volksinitiative durch den Landesverband des Bündnisses 90/Die Grünen und des Landesverbandes der SPD, die erkannt haben, dass in dieser Angelegenheit nun endlich gehandelt werden muss.

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Schriftliche Stellungnahme vom 06.08.2019

Volksinitiative für bezahlbaren Wohnraum

Für die Aufnahme des Rechtes auf eine angemessene Wohnung in die Landesverfassung

Wohnungspolitik ist ein komplexes Thema; sie berührt Art. 25 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 – „Jeder hat das Recht auf einen Lebensstandard, der seine und seiner Familie Gesundheit und Wohl gewährleistet, einschließlich Nahrung, Kleidung, Wohnung, ärztliche Versorgung und notwendige soziale Leistungen …“ und den auch von Deutschland ratifizierten Art. 11 des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte von 1966 – „Die Vertragsstaaten erkennen das Recht eines jeden auf einen angemessenen Lebensstandard für sich und seine Familie an, einschließlich ausreichender Ernährung, Bekleidung und Unterbringung…“. In der Wohnungswirtschaft wird mit einem Planungshorizont von 100 Jahren gerechnet. Deswegen muss Wohnungspolitik vorausschauend denken und zwar sehr viel stärker als andere Politikfelder. Sie muss Bevölkerungsentwicklungen berücksichtigen, großräumig denken und sich dabei stets damit auseinandersetzen, dass Veränderungen im Wohnungsbestand sehr träge ablaufen, während sich der Wohnungsmarkt unter Umständen schnell verändern kann.

Fehler der Vergangenheit

Diese Grundsätze sind in den vergangenen 30 Jahren mehrfach missachtet worden. Als Beispiele seien genannt die Verkäufe großer Wohnungsbestände durch die öffentliche Hand. In Schleswig-Holstein sind rund 60.000 Mietwohnungen von ehemals gemeinnützigen Wohnungsunternehmen an Privatunternehmen veräußert worden, von denen die meisten zwischenzeitlich in der Hand von Finanzinvestoren sind. Gleichzeitig ist der Bestand öffentlich geförderter Wohnungen von ehedem ca. 220.000 auf jetzt ca. 47.000 eingebrochen. Die aktuelle Förderung kann diesen Bestand gerade eben halten, ihn aber nicht nennenswert wieder aufstocken. Und schließlich: Nach einem Höchststand von 24.369 neugebauten Wohnungen im Jahre 1995 ist der Neubau auf 6.690 Einheiten im Jahre 2008 eingebrochen. Den politischen Entscheidungen, die diese Entwicklungen verursacht haben ist gemeinsam, dass sie nur auf kurzfristige Ziele fokussiert waren und die langfristigen Folgen ausgeblendet haben.

Verkäufe ehemals gemeinnütziger Wohnungsunternehmen an Finanzinvestoren

Dabei war vorhersehbar, dass der Verkauf von Wohnungsbeständen ehemals gemeinnütziger Wohnungsunternehmen, die einer Gewinnbeschränkung unterlagen, an Finanzinvestoren, die an Maximalrenditen interessiert sind, genau zu den Problemen führen würde, die jetzt allenthalben zu beklagen sind: Rasant steigende Mieten,  enorm steigende Betriebskosten, zunehmende Verwahrlosung größerer Wohnungsbestände. Am Beispiel Kiels wird auch deutlich, dass der Verkauf ehemals gemeinnütziger Wohnungsunternehmen eben nicht nur eine Übertragung an neue Eigentümer war, sondern dass damit auch eine neue Vermarktungsphilosophie verbunden war. Kieler Werkswohnungen GmbH, Kieler Wohnungsbaugesellschaft, Wobau Schleswig-Holstein und die BIG Heimbau AG waren die Hauptträger im Neubau öffentlich geförderter Wohnungen. Mit der Veräußerung sind der Stadt aber die wichtigsten Akteure für diese Aufgabe abhanden gekommen. Finanzinvestoren beteiligen sich nicht am Neubau – schon gar nicht, wenn er öffentlich gefördert ist. Warum sollten sie auch? Eine angespannte Marktlage ist die beste Voraussetzung für ein florierendes Geschäft. Die verbliebenen Akteure, wie kommunale Wohnungsbaugesellschaften und Genossenschaften, tragen den Neubau zwar nach Kräften, aber allein nach ihrer Anzahl und ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit können Sie die Versäumnisse der Vergangenheit nicht aufholen.

Veränderungen im Bereich der ehedem gemeinnützigen Wohnungswirtschaft

In diesem Zusammenhang hat es auch gravierende Veränderungen auf Seiten der wohnungswirtschaftlichen Verbände gegeben. Prominentestes Beispiel ist der GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen, der zu Zeiten der Wohnungsgemeinnützigkeit gemeinnützige Wohnungsunternehmen unter seinem Dach versammelt hatte. Dies waren im Wesentlichen kommunale Wohnungsbaugesellschaften und Genossenschaften. Seit dem Ende der Wohnungsgemeinnützigkeit bestimmen Finanzinvestoren als die neuen Eigentümer ehemals gemeinnütziger Wohnungsunternehmen dort mit und haben mit ihrer erheblichen Beitragsleistung auch nennenswerten Einfluss genommen. Allein im Gebiet des Verbandes Norddeutscher Wohnungsunternehmen – neben anderen Mitgliedern im GdW – dürften einige 10.000 Wohnungen von Finanzinvestoren liegen. Vonovia beispielsweise ist zwar Mitglied in einem oder mehreren anderen Gruppierungen des GdW, kann deswegen aber trotzdem sicher sein, dass der VNW seine Interessen vehement berücksichtigt. Dies schlägt sich dann auch in der Tatsache nieder, dass der VNW massiv gegen die Kappungsgrenzenverordnung, gegen die Mietpreisbremse und natürlich auch gegen eine Verankerung des Rechts auf eine angemessene Wohnung in der Landesverfassung antritt. Der Einfluss von Finanzinvestoren auf die Wohnungspolitik wird also ständig größer zumal auch die wirtschaftlichen Möglichkeiten des GdW und seiner Landesverbände beträchtlich sind. Sie können es sich leisten, hochrangige Wohnungspolitiker, deren Netzwerke und deren gesamtes Know-how für sich zu gewinnen und auf diese Weise ihren Einfluss auszubauen.

Betriebskosten als zusätzliche Einnahmequelle bei Finanzinvestoren

Ein weiterer Trend, der Mieterhaushalte bei Finanzinvestoren erheblich belastet ist die Tatsache, dass diese den Bereich der Betriebskosten als besonders einträgliche zusätzliche Einnahmequelle entdeckt haben. Insbesondere die ganz Großen in der Branche haben eigens zu diesem Zweck eigene Tochterunternehmen gegründet, die – von jedweder Konkurrenz freigestellt – Dienstleistungen wie Gartenpflege, Hauswarttätigkeiten, Schnee- und Eisbeseitigung und Reparaturen aller Art rund um ihre Immobilien verrichten. Es liegt auf der Hand, dass ein konkurrenzloses Unternehmen sehr viel höhere Preise durchsetzen kann, als eines, das im Wettbewerb steht. Daraus erklärt sich die enorm steigende Wohnkostenbelastungsquote von Mieterhaushalten in Ballungsräumen. Der jüngste Auswuchs dieser Art wird zur Zeit von dem Marktführer angetestet; in den Mietervereinen sind Mietvertragsformulare aufgetaucht, die Energielieferverträge für Strom und Gas durch das Wohnungsunternehmen beinhalten, ohne dass gleichzeitig die genauen Konditionen dafür aufgelistet würden. Derartige Verträge unterlaufen die Wahlfreiheit von Energiekunden und sind offenkundig  ein weiterer Schritt zur Generierung neuer Einnahmequellen.

Mieterhaushalte von Finanzinvestoren in Ballungsräumen ächzen also nicht nur unter steigenden Mieten, sondern zusätzlich unter steil ansteigenden Betriebskosten. Diese Entwicklung fügt auch den Kommunen beträchtlichen Schaden zu. Über die „Kosten der Unterkunft“ müssen sie die gestiegenen Mieten und Betriebskosten für zehntausende einkommensschwache Mieterhaushalte tragen,  einschließlich der drastischen Steigerungen.

Verluste im Bestand öffentlich geförderter Wohnungen

Es war auch vorhersehbar, dass der Verlust öffentlich geförderter Wohnungen den Mietenanstieg zusätzlich befeuern und sich zu einem massiven Problem für einkommensschwache Haushalte auswachsen würde. Öffentlich geförderte Wohnungen haben nicht nur den Vorzug, dass sie preiswerter sind, als vergleichbare freifinanzierte Wohnungen in der Nachbarschaft – sie nehmen wohnungssuchende Haushalte auch aus der Konkurrenz mit Besserverdienenden. Nur in dieser Konstellation ist es möglich, dass eine wohnungssuchende Krankenschwester mit Wohnberechtigung sich gegen einen besserverdienenden Haushalt ohne Wohnberechtigung durchsetzt. Selbst ein erhöhtes Wohngeld kann diesen Konkurrenzschutz nicht bieten. Nur mit öffentlich geförderten Wohnungen kann eine Kommune Einfluss auf die soziale Durchmischung in ihren Quartieren nehmen. Öffentlich geförderte Wohnungen auch in guten Wohnlagen dämpfen durch ihr niedrigeres Preisniveau das Mietgefüge des benachbarten freien Wohnungsmarktes. Es liegt allerdings auf der Hand, dass die positiven Wirkungen öffentlich geförderter Wohnungen nur dann voll durchschlagen, wenn dahinter auch ein nennenswerter Wohnungsbestand steht. Mit ca. 220.000 öffentlich geförderten Wohnungen war Schleswig-Holstein früher gut aufgestellt. Heute gibt es nur noch rund 47.000 öffentlich geförderte Wohnungen landesweit. Die Neuförderung kann die Verluste durch planmäßige Tilgung nur knapp kompensieren. 1.782 Wohneinheiten will das Land in den Jahren 2019 bis 2022 jährlich fördern, inklusive Ersatzbau und Eigentumsmaßnahmen. Rein rechnerisch müsste das Land also bei einer Bindungsdauer von 35 Jahren jährlich 1.342 Wohnungen neu fördern, nur um ein weiteres Abschmelzen zu verhindern. Die restlichen 400 Wohnungen könnten den Bestand erhöhen. Tatsächlich verläuft der Verlust an gebundenen Wohnungen aber sehr viel schneller, weil die Restlaufzeiten des jetzigen Bestandes schon in großen Teilen abgelaufen sind und die Neuförderung teilweise nur noch 20 Jahre betragen soll. Unsere Verbände sehen die erforderliche Untergrenze öffentlich geförderter Wohnungen bei mindestens 120.000 Einheiten. Es ist also noch ein erheblicher Zubau an öffentlich geförderten Wohnungen erforderlich. Der findet jedoch nicht statt.

Einbruch im Mietwohnungsbau

Es war vorhersehbar, dass der Einbruch im Wohnungsneubau unweigerlich zu einem Wohnraummangel führen würde. An dieser Stelle wird gerne ins Feld geführt, dass die damaligen Prognosen zur Bevölkerungsentwicklung einen kräftigen Einwohnerverlust zum Beispiel für die Landeshauptstadt Kiel vorhergesagt haben.

Diese Prognosen haben jedoch längst bekannte Faktoren, die für den Wohnungsbedarf von großer Bedeutung sind, großenteils außer Acht gelassen oder unterbewertet: Zum Beispiel den Ersatzbau: Rund 100 Jahre dauert es, bis eine Wohnung abgerissen und erneuert werden muss. Manche Wohnungen halten länger, manche müssen schon sehr viel früher einem Neubau weichen. Dies gilt namentlich für Mietwohnungen der 1950er und 1960er Jahre, die von der Wohnungswirtschaft als nicht mehr zeitgemäß angesehen werden und deshalb schon deutlich vor Ablauf von 100 Jahren Neubauten weichen müssen, die zwar zu besseren Wohnungen führen aber den Mietwohnungsbestand nicht erhöhen. In Schleswig-Holstein gibt es knapp 1,5 Millionen Wohnungen. Rein rechnerisch müssten also jährlich rund 15.000 Wohnungen gebaut werden, alleine um den Ersatzbedarf zu kompensieren. Von 2005 bis 2013 meldet das Statistikamt Nord landesweit weniger als 10.000 fertig gestellte Wohnungen jährlich mit dem Negativrekord von 6.690 Wohnungen in 2008.

Verwerfungen durch massive Eigenheimförderung

Aber auch bundespolitische Entscheidungen können zu massiven Verwerfungen auf dem Wohnungsmarkt führen: So hat das Eigenheimzulagengesetz aus dem Jahre 1995 erhebliche Auswirkungen auf den schleswig-holsteinischen Wohnungsmarkt gehabt. Besserverdienende Mieterhaushalte haben zu tausenden Eigenheime auf der grünen Wiese gebaut und damit nach der Jahrtausendwende den Wohnungsleerstand in den Ballungsräumen herbeigeführt, in dessen Folge auch der Mietwohnungsbau einbrach und die Kommunen ihre Baulandbevorratung herunterfuhren oder ganz einstellten. Planungskapazitäten wurden ausgedünnt und auch die Bauwirtschaft hat ihre Kapazitäten heruntergefahren. Die Folgen dieser Einbrüche beschäftigen uns noch heute, weil deren Wiederaufbau noch mehrere Jahre in Anspruch nehmen wird.

Ungebremster Zuzug in die Ballungsräume

Ähnliche Wellenbewegungen hat es immer gegeben und wird es auch in Zukunft geben. Mehrheitlich führen die zu Grunde liegenden politischen Entscheidungen aber dazu, dass Haushalte in die Ballungsräume drängen und eben nicht an die Peripherie. Die Freizügigkeit in der Europäischen Union hat Arbeit suchende Südeuropäer in deutsche Städte gelockt. Haushalte, die in den 1970er Jahren ihr Eigenheim auf dem Land gebaut haben, zieht es im Alter zurück in die Städte, um von besserer Medizin, besserer Mobilität und besserer Kultur zu profitieren. Der demographische Wandel wird diesen Trend weiter befeuern – und zu einem stark wachsenden Bedarf an barrierefreien Wohnungen in den Ballungszentren führen. Schleswig-Holstein ist aufgrund seiner klimatischen Bedingungen und seiner reizvollen Natur als Altersruhesitz äußerst beliebt. Neue Arbeitsplätze entstehen vorrangig in den Ballungsräumen. Es liegt auf der Hand, dass Arbeit suchende Haushalte diesem Angebot hinterher ziehen. Unsere großen Universitäten liegen in den Ballungsräumen. Deren Absolventen suchen typischerweise im nahen Umkreis nach adäquaten Arbeitsplätzen. Auch die politische Entscheidung, das Rentenniveau abzusenken, wird die Nachfrage nach besonders preiswertem Wohnraum in den Ballungsräumen erhöhen. Hierzulande wird es also aufgrund von Zuwanderung und Binnenwanderung mindestens in den nächsten 30 Jahren eine weiterhin hohe Wohnraumnachfrage geben, die zu bedienen sehr viel größere Anstrengungen erforderlich machen wird.

Singularisierung kostet Wohnfläche

Es gibt eine weitere Entwicklung, die in erheblichem Maße Wohnfläche zehrt: Genährt durch die Singularisierung der Haushalte wächst die Wohnfläche je Einwohner seit Kriegsende sehr kontinuierlich um ca. 0,5 m² jährlich. In Zeiten angespannter Märkte steigt die Zahl etwas langsamer, weil nicht genügend Wohnungen verfügbar sind, um den Wohnflächenkonsum zu bedienen, in entspannten Märkten dafür umso schneller. Das Statistikamt Nord weist die durchschnittliche Wohnfläche pro Person im Jahre 1990 mit 37 m² und im Jahre 2017 mit 47,8 m² aus. Alleine um das Wohnflächenwachstum je Einwohner abzufangen mussten also zwischen 1990 und 2017 für rund 2,8 Millionen Einwohner 30,24 Millionen m² Wohnfläche geschaffen werden. Das entspricht 378.000 Wohnungen zu 80 m² oder 14.000 Wohnungen jährlich. Natürlich überlagern sich die Bedarfe für Ersatzbau und Wohnflächenwachstum, so dass sie nicht ohne weiteres addiert werden können. Trotzdem war vorhersehbar, dass ein Einbruch im Neubau auf weniger als 15.000 Wohnungen jährlich geradewegs in eine Mangellage führt. Hinzu kommt, dass in den Bädergemeinden an der Küste und im Binnenland Wohnraum in erheblichem Maße in Ferienwohnungen umgewandelt worden sind – ein Trend, der noch anhält und sich seit einiger Zeit auch auf Ballungsräume und die touristischen Hotspots im Lande ausdehnt.

Wir haben die Faktoren, die maßgeblich sind für die Wohnraumnachfrage deswegen so detailliert aufgeführt, weil jeder Faktor für sich ein Beleg dafür ist, dass gerade in der Wohnungspolitik die Folgen politischer Entscheidungen sehr viel weiter in die Zukunft gedacht werden müssen als bisher. Dies ist der wesentliche Grund, weswegen unsere Verbände – unterstützt durch zehntausende Haushalte – der Auffassung sind, dass das Recht auf eine angemessene Wohnung in der Landesverfassung verankert werden muss. Es soll eine ständige Mahnung für die politischen Entscheidungsträger sein, dass ihre Beschlüsse weit über die nächste Wahlperiode hinaus sehr langfristige Folgen haben werden.

Gegenargumente

Die Gegenargumente sind bekannt. Es wundert niemanden, dass insbesondere der Verband Norddeutscher Wohnungsunternehmen sich umfassend gegen eine Verankerung des Rechtes auf eine angemessene Wohnung ausgesprochen hat. Seine Gegenargumente:

Es werde in der Sache ein von niemandem bestrittenes Ziel formuliert. Wenn dem so ist, halten wir diese Aussage eher für eine Befürwortung, denn für eine Ablehnung. Fakt ist jedenfalls, dass im Wohnungsneubau (wieder einmal) erheblicher Nachholbedarf besteht, um auf einen ausgeglichenen Wohnungsmarkt hin zu arbeiten.

Ein weiteres Argument des VNW: „Anstatt sich auf die Schaffung der dazu notwendigen (bekannten) Voraussetzungen zu konzentrieren, wird lieber eine neue (letztlich theoretische) Debatte eröffnet.“ Aus Sicht unserer Verbände konzentrieren sich die maßgeblichen Kräfte durchaus auf Verbesserungen in der Versorgung mit preiswertem Wohnraum – wenn auch in viel zu geringem Umfang. Daneben ist es aber außerordentlich wichtig, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass auch in fernerer Zukunft neue Engpässe in der Wohnraumversorgung vermieden werden. Wenn unsere wohnungspolitischen Instrumente in der Vergangenheit gut funktioniert und zu jeder Zeit wohnungspolitischer Weitblick die Entscheidungen bestimmt hätte, dann  wäre der aktuelle Versorgungsengpass bei preiswerten Wohnungen vermeidbar gewesen.

Der VNW weiter: „Es wird nicht erklärt, warum trotz der seit Jahren bekannten Problematik und der mindestens ebenso lang bekannten Stellschrauben für mehr bezahlbaren Wohnungsbau gerade der bezahlbare Neubau nur langsam vorankommt.“ Die Erklärung dafür ist allenthalben bekannt: Vorstehend haben wir bereits ausgeführt, dass die ehemals gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften in Schleswig-Holstein – seinerzeit die größten Träger des geförderten Wohnungsbaus – ganz überwiegend veräußert worden sind. Deren neue Eigentümer, allen voran die im GdW organisierte Vonovia beteiligen sich so gut wie überhaupt nicht am Bau neuer Wohnungen – schon gar nicht am geförderten Wohnungsbau. Warum auch? Die Mangellage ist der Nährboden für Gewinnsteigerungsmöglichkeiten bei den Finanzinvestoren. Unsere Verbände empfehlen dem VNW, über seinen Dachverband Einfluss auf Vonovia zu nehmen mit dem Ziel, dass das Unternehmen einen nennenswerten Teil seiner Gewinne in den flächendeckenden Neubau von geförderten Wohnungen  investiert. Und natürlich ist auch dem VNW bekannt, dass die Bauflächenvorräte und die Planungskapazitäten in den Kommunen erst wieder ausgebaut werden müssen. Hinlänglich bekannt ist auch, dass die Bauwirtschaft an ihren Leistungsgrenzen kratzt.

Ein weiteres Argument des VNW: „Faktisch ausgeblendet wird, dass Wohnungsbau eine komplexe Angelegenheit ist, der die baubereite Wohnungswirtschaft wie private Bauherren heute vor sehr große Herausforderungen stellt …“. Dazu unsere Antwort: Wohnungsbau ist seit jeher eine komplexe Herausforderung. Die Nachkriegsgeneration hat bewiesen, dass man sie meistern kann. Sie hat mit besonderer Weitsicht Wohnungsbaugesellschaften gegründet, die darauf verpflichtet waren, preiswerten Wohnraum zu schaffen. Sie hat das Zweckvermögen Wohnungsbau angelegt, das bis heute das tragende Fundament für die Wohnraumförderung in Schleswig-Holstein ist. Und viele Akteure haben sich daran beteiligt: Die Kommunen mit eigenen Baugesellschaften (zum Beispiel Kiel und Lübeck), das Land mit der WoBau Schleswig-Holstein (22.000 Wohnungen), die Industrie mit Werkswohnungen (zum Beispiel HDW mit den Kieler Werkswohnungen 10.000 Wohnungen). Die Weitsicht, die die damaligen Akteure an den Tag gelegt haben, hat bis zum Ende der Wohnungsgemeinnützigkeit für größtenteils ausgeglichene Wohnungsmärkte gesorgt. Erst die äußerst kurzsichtige Verkaufswelle nach dem Ende der Wohnungsgemeinnützigkeit hat zu dem Scherbenhaufen geführt, den wir heute betrachten können.

Der VNW argumentiert weiter: „Stattdessen wird durch ein „Recht“ auf angemessenen Wohnraum in der Landesverfassung der Eindruck eines Versprechens vermittelt.“ Ein Blick in unsere Verfassung zeigt, dass das Land zu Recht in vielfältiger Weise Schutz und Förderung für Bevölkerungsgruppen und gesellschaftliche Belange verspricht: Nationale Minderheiten und Volksgruppen haben Anspruch auf Schutz und Förderung. Das gleiche gilt für behinderte und pflegebedürftige Menschen. Kinder und Jugendliche stehen unter dem besonderen Schutz des Landes genauso wie die natürlichen Grundlagen des Lebens und die Tierwelt. Das Land sieht die Förderung der Kultur einschließlich des Sports als Aufgabe an. Niemand findet an diesen Versprechen etwas Anstößiges. Sie alle eint, dass sie neben unseren Lebensgrundlagen bestimmte Bevölkerungsgruppen zum Ziel haben. Das Recht auf eine angemessene Wohnung allerdings betrifft jede Schleswig-Holsteinerin und jeden Schleswig-Holsteiner. Es gilt für Obdachlose und Wohnungslose, Mieterinnen und Mieter, Eigentümerinnen und Eigentümer, Junge und Alte, Behinderte, Kranke und Gesunde. Es ist im Kernbereich der Daseinsvorsorge angesiedelt. Wohnen muss jeder. Diese Selbstverständlichkeit muss nach Auffassung unserer Verbände durch einen staatlich abgesicherten Anspruch auf Angemessenheit der Wohnung geschützt und gefördert werden. Parks und Brücken, Zelte, U-Bahnhöfe und Notunterkünfte sind jedenfalls nicht angemessen. Und die bei Finanzinvestoren immer häufiger anzutreffenden Schrottimmobilien sind es auch nicht. Dies gilt auch für die Wohnungen in den obersten Geschossen von Hochhäusern, in denen wegen Vernachlässigung für Monate die Fahrstühle ausgefallen sind – namentlich wenn Behinderte, Kranke, Alte und auf andere Weise eingeschränkte Personen betroffen sind.

Und schließlich bemüht der VNW die Aktivitäten für mehr Wohnungsbau in anderen Bundesländern. Dieselbe Diskussion werde auch dort geführt. Sehr richtig – Fehler sind auch anderenorts gemacht worden. Im Gegensatz zu den anderen Ländern verfüge Schleswig-Holstein über das Zweckvermögen Wohnungsbau und habe die Kompensationszahlungen des Bundes vollständig und zweckgebunden für die Landesförderung verwendet. Ebenfalls richtig. Richtig ist aber auch: Die Zahl der geförderten Wohnungen ist trotzdem auf ein Viertel des ursprünglichen Bestandes eingebrochen und wird dort absehbarerweise verharren. Und schließlich: Berlin habe 2003 den Wegfall der Anschlussförderung für 12.000 Sozialwohnungen beschlossen – mit der Folge deutlich steigender Mieten. Schlimm genug. Schleswig-Holstein hat am 31.12.2018 rund 20.000 Wohnungen vorzeitig aus den Mietpreisbindungen entlassen und damit vor allem den Finanzinvestoren zusätzlichen Spielraum für kräftige Mieterhöhungen verschafft. Kritik dazu vom VNW haben unsere Verbände nicht vernommen.

Wir halten keines der Argumente, die gegen die Aufnahme des Rechtes auf eine angemessene Wohnung in die Landesverfassung ins Feld geführt wurden, für stichhaltig.

Grundgesetzänderung schafft neue Verantwortung

Seit der Förderalismusreform im Jahre 2006 ist die Verantwortung für die Wohnungsbauförderung vom Bund auf die Länder übergegangen. Wir in Schleswig-Holstein müssen und dürfen unsere wohnungspolitischen Prioritäten seitdem selbst setzen. Die Verantwortung der wohnungspolitischen Entscheidungsträger ist damit erheblich gewachsen. Auch aus diesem Grunde und wegen früherer Fehlentscheidungen halten unsere Verbände die geforderte Verfassungsänderung für dringend geboten.

Neue wohnungspolitische Fehlentscheidungen stehen vor der Umsetzung

Im November will die Landesregierung die Mietpreisbremse abschaffen. Begründung des Innenministers: Die Mietpreisbremse gelte ohnehin nur in zwölf von 1.106 Gemeinden Schleswig-Holsteins und behindere das entscheidende Ziel, mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, da sie den Wohnungsbau für Investoren unattraktiver mache. Auch diese Entscheidung blendet die langfristigen Folgen nach Meinung unserer Verbände aus. Die Begründung selbst ist überdies unzutreffend. Wenn der für den Erlass dieser Verordnung zuständige Fachminister die Tatsache beklagt, dass die Mietpreisbremse nur in zwölf Gemeinden gilt, müsste er zunächst die Frage beantworten, was ihn denn hindert, die Verordnung auf das gesamte hamburgische Umland sowie Lübeck und Flensburg auszudehnen. Die Mietervereine dort verzeichnen jedenfalls einen steilen Mietenanstieg, der im Süden Schleswig-Holsteins maßgeblich durch den Druck des hamburgischen Wohnungsmarktes erzeugt wird. Und dass die Mietpreisbremse kein Investitionshemmnis sein kann ergibt sich unmittelbar aus § 556f BGB. Danach ist die Mietpreisbremse nicht anzuwenden auf eine Wohnung, die nach dem 1. Oktober 2014 erstmals genutzt und vermietet wird und gilt auch nicht für die erste Vermietung nach umfassender Modernisierung. Betroffen sind tausende Mietverhältnisse, während im geförderten Wohnungsbau jährlich nur 1.782 Wohnungen neu geschaffen werden, die nahezu ausschließlich nur die planmäßigen Bindungsverluste kompensieren.

Die Landesregierung will außerdem die Kappungsgrenzenverordnung ersatzlos auslaufen lassen. Auch diese Entscheidung lässt die langfristigen Folgen unberücksichtigt. Für Haushalte mit schmalem Budget macht es einen erheblichen Unterschied, ob sich ihre Miete innerhalb von drei Jahren „nur“ um 15 % oder zukünftig um 20 % erhöht. Dies gilt umso mehr, als seit Jahresbeginn zusätzlich rund 20.000 ehemals öffentlich geförderte Wohnungen betroffen sind,  bei denen der Spielraum für drastische Mieterhöhungen  besonders groß ist. Diese Absicht trifft typischerweise einkommensschwache Haushalte und ist im Ergebnis ein Förderprogramm für Finanzinvestoren, die sich ihr Investment mit einem Sahnehäubchen versüßen können. In der gegenwärtigen Situation führt die Aufhebung der Verordnungen jedenfalls unmittelbar und sofort zu schneller steigenden Mieten, während der Zubau von neuen Mietwohnungen in einer Anzahl, die den Markt tatsächlich entspannen kann noch viele Jahre in Anspruch nehmen wird.

Auch an diesen Entscheidungen wird deutlich, dass Wohnungspolitik die langfristigen Folgen stärker berücksichtigen muss. Vor allem gilt: Derartige Entscheidungen dürfen nicht bedingungslos dem „Markt“ überlassen werden. Der „Markt“ ist sozial blind. Die Wohnraumversorgung, insbesondere von einkommensschwachen Haushalten, kann er ohne Eingriffe nicht leisten. Die gegenwärtige Versorgungslage ist dafür Beleg genug. Eine angemessene Wohnraumversorgung für benachteiligte und einkommensschwache Haushalte gehört zur Daseinsvorsorge. Sie zu stärken, für mehr Umsicht und Weitsicht bei wohnungspolitischen Entscheidungen zu sorgen und dabei der höheren Verantwortung aufgrund der neuen Gesetzeslage gerecht zu werden, ist Ziel unserer Initiative. Deswegen halten unsere Verbände die Aufnahme des Rechtes auf eine angemessene Wohnung in die Landesverfassung für geboten.

 

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